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Selbstwertkrisen in und nach der Trennungsphase


Nahezu jeder Mensch leidet bei einer Trennung. Selbst wenn die Partnerschaft schon seit längerem kriselte und es an emotionaler und körperlicher Nähe mangelte, bedeutet eine Trennung den Verlust von Vertrautheit. Diese ist für die meisten Menschen ein wichtiger Pfeiler für ihr Sicherheitsbedürfnis, das Gewohnheiten und gemeinschaftliche Rituale braucht.

Hinzu kommt, dass eine Trennung in der Regel auch als Scheitern empfunden wird – vor allem natürlich wenn der Partner die Beziehung beendet hat. Das Gefühl, gescheitert zu sein, ist dann oft verknüpft mit nagenden Selbstzweifeln, die meist in Wellen kommen und phasenweise jeden Antrieb lähmen, den Großteil der Lebensenergie verschlingen.

Zum einen bohren Fragen, welche eigenen Anteile am Scheitern der Partnerschaft man sich zuzuschreiben hat, an welchen Abzweigen man den richtigen Weg verpasst hat. Ob nicht bestimmte Defizite zu lange nicht thematisiert wurden, welche Warnzeichen vielleicht übersehen wurden. Oder man bewusst weggeschaut hat, weil man sich nicht Konflikten stellen wollte, deren Ausgang ungewiss war. All diese Fragen sowie das Erleben von Wut und Trauer in einem Trennungsprozess ist zwar einerseits notwendig, um irgendwann loslassen zu können. Es besteht jedoch die Gefahr, sich in einem Teufelskreis aus (Selbst-)Vorwürfen und Selbstzweifeln zu verlieren.

Denn Selbstzweifel werfen auch ihre Schatten in die Zukunft. Das Ende einer langjährigen Beziehung wird ja oft als Scheitern des gesamten Lebensmodells empfunden. Jetzt steht man an einer neuen Weggabelung, die in viele Richtungen zu führen scheint. Oft genug, ohne sich selbst dafür entschieden zu haben. Es fehlt jedes Gefühl dafür, welcher Weg künftig (und nachhaltig!) als eigener Weg empfunden werden kann. Nicht zu wissen, was nun vor einem liegt und wie man dies selbst gestalten möchte, ist zusammen mit dem noch oft präsenten Verlust des Vertrauten ein allumfassender Angriff auf das Selbstwertgefühl.

Daher ist eine der größten Herausforderungen in und kurz nach einer Trennungsphase, nach vorne zu schauen, eine Neuorientierung zu finden, die frische Kräfte und Energie freisetzt. Wie kommt man aus einem Gefühl der Lähmung (oder aufwühlenden, stetig kreisenden Rachegedanken) zu dem Impuls, der benötigt wird, um neue Ziele zu definieren. Oder gar zu der Lust, die vielen möglichen Wege auszuprobieren, die zu diesen Zielen führen können.

Krise ist ein produktiver Zustand! Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.

 

 

(Max Frisch)